Spiegelschau & Lilith: ein Comeback?

Frau Februar hat ihre Mitte überschritten - und wie eisig sie sich präsentiert! Dankbar kuschele ich mich in Ermangelung eines Ofens an die warme Heizung, während die Kinder im strengen 2. Lockdown den Gartenteich mit ihren Schlittschuhen schleifen. Was bewegt mich; uns? 

Sicherlich ist es nicht nur das Eis - die gefrorene Oberfläche des Gartenteiches - welche geschliffen wird. Auch wir fühlen uns  manches Mal "geschliffen", angekratzt. Die Zähe des Lockdowns streut ihre Spuren und Leid ist subjektiv.  Alles ist in Schwebe und Nichts wird werden, wie es mal war. Kinder hören so etwas nicht gern. Sie lieben das Gewohnte; sind manches Mal gar konservativ. Erst einmal verwurzeln und so. 

Im letzten Frühjahr war es, als ich loszog, um irgendein Zeichen zu suchen für die kommende Zeit. Ein Fluss, von Ebbe & Flut gesteuert, spülte mir einen Stein in die Hände, welcher die Rune ISA zeigte. Mir kündigte sie das an, was geschah und noch geschieht: Stille, Rückzug - äußerlich im Lockdown gegeben und, vor Allem: Besinnung auf die eigene Essenz. Darin verborgen liegt eine Stärke, welche mich immer noch, bald ein Jahr später zu tragen vermag durch alle Rüttelei, allen Unfrieden und mir manches Mal psychotisch anmutendem Wahnsinn (siehe Qanon-Anhänger oä.) sozusagen zum Trotz. Danke, ISA, Du Eisesheilige. 

Und doch, trotz aller Stille, Verlangsamung und mehr oder weniger erzwungener Einkehr: es bewegt sich etwas. Es stürmt in uns. Wir können es klar erkennen, wenn wir uns mit Freunden unterhalten oder einen Blick auf die politischen Bühnen dieser Welt werfen. Die Schatten, doch vor allem UNSERE Schatten drängen nach oben, sind sichtbar.

Welch ein Gräuel - und: welch eine Gnade! 

Wir dürfen, müssen uns auseinandersetzen. In erster Linie mit uns. Es nutzt nach dem ersten Erkennen, DAS etwas nicht stimmt, wenig, wenn wir weiterhin mit den Fingern auf "die Anderen" zeigen. Denn, davon bin ich überzeugt, die Welt ist ein Spiegel - DER - Spiegel. Für uns. 

Mich persönlich bewegt seit vielen Jahren und besonders in dem letzten Jahr die Gestalt der Lilith. Sei es, weil ich mich nie begnügen konnte mit dem Bild, wie "Frau" zu sein hatte - dazu war und bin ich viel zu rebellisch und viel zu wenig Dame -, sei es, weil sie äußerst prägnant in meinem Geburtshoroskop steht oder einfach, ja, weil auch ich als Mädchen wie so viele Schwestern und auch Brüder unter sexuellem Missbrauch durch Männer gelitten hatte. Vielleicht hat Lilith mich auch schon immer fasziniert, weil ich mich schon als Kind gefragt hatte, warum Eva nur aus Adams Rippe entstand und unter Schmerzen Kinder zu gebären hatte. Wie auch immer, Lilith begleitet mich und ich vermutete immer schon einen weitaus interessanteren Kontext als jenen, welchen uns die christliche Kirche verkaufen wollte und wo Lilith eine Kinder mordende und Jünglinge verschlingende Dämonengöttin ist. Es gibt zuhauf Literatur zur Lilith. Und ich habe kaum mehr als ein Buch davon gelesen (Kocku von Stuckrad: "Lilith: im Licht des schwarzen Mondes zur Kraft der Göttin"). Mir war es erst einmal wichtiger, mich ihr in Träumen und Reisen anzunähern. Sie in mir zu spüren. Zu erleben, was ihre Energie mit mir "macht". Und sie "macht" so einiges. 

                                             

 "Lilith ist eine Erscheinungsform der großen Göttin,

       die viele Namen in sich trägt und viele Aspekte mühelos in sich vereint.

       Ihre Kraft liegt jenseits einer Dualität und ist mehr wie das Leben selbst:

schön und hässlich,

grausam und zärtlich,

dunkel und hell zugleich"

(Kocku von Stuckrad)

 

Die "große Göttin" - das heilige Feminine - lebt in jeder Frau. Und auch in jedem Mann. In vielen kulturellen Traditionen steht am Anfang aller Anfänge das Feminine. Mysteriös und dunkel. Es gebiert aus sich heraus das heilige Maskuline. Und beide tanzen gemeinsam den Schöpfungstanz. 

Das heilige Feminine offenbarte sich in unzähligen Emanationen über alle Zeiten hinweg. Im Christentum überlebte es in Form der "Jungfrau Maria" (wenngleich auch ihrer Sexualität beraubt) oder auch in verschiedenen "heiligen Frauen" - oft aus vorchristlichen Kulturen übernommen wie zB. wohl die hl. Brigid. 

 

Wir alle kennen verschiedene Erscheinungsformen des heiligen Weiblichen. Die Menschen verehrten es als Göttin. Sei es nun Hekate, die Dreifaltige, Demeter, die Vegetationsgöttin oder auch Freya, Venus und Aphrodite als Liebesgöttinen. In ihrer Erscheinung als Hel versorgt sie die Verstorbenen in ihrem Reich. Ishtar, Isis und Innana galten ursprünglich als Himmelsgöttinen, wie wir aus verschiedenen Quellen erfahren können. Dies mag uns Hinweis sein für die ursprünglich auch dem Urweiblichen zugeordnete Schöpferkraft. Freilich galt dies nicht nur im jüdisch-christlichen Kontext später dann als rein maskulines Attribut. Vater Himmel. Schöpfergott. 

 

Lilith wird in jüdischen und christlichen Schriften und in der Archetypenlehre von  C.G. Jung und anderen, meist männlichen Wissenschaftlern eine dunkle, dämonische Rolle zugewiesen. Sie ist hier die irrationale, hysterische bis todbringende Kraft, welche in ihrer unberechenbaren Kraft,  wilden Sexualität 

und Rachsucht Unglück bringt. 

Frauen spüren so stark, dass diese Zuschreibung sie im Wiederentdecken ihrer ureigenen Schöpferkraft blockiert und ganz allgemein beschränkt. 

Frauen spüren, dass eine Limitierung auf diese unliebsamen Attribute sie festhält in einem Gesellschaftskonstrukt, welches sie klein hält und, noch mehr: festhält in einem Schuldkomplex, welchen monotheistische, patriarchale Religionen dem Weiblichen per se auferlegt hatten. 

 

Lilith als feminin- wilde Urkraft, wurde also schon vor langer Zeit verstoßen. 

Wir Frauen wollen uns und damit auch unser eigenes uns ebenso innewohnende heilige Maskuline erlösen von diesen kollektiven Energien einer sogenannten "Ursünde"; dieses riesigen Schuldkomplexes. So können wir Frieden in uns selbst erschaffen. Den Pfad unseres inneren Friedens gehen. Frieden mit unseren Ahninnen und Schwestern und Frieden mit unseren Ahnen und Brüdern erschaffen. 

 

Um als Mensch, welcher im westlich-christlich geprägten gesellschaftlichen Kontext aufgewachsen ist, Lilith besser zu verstehen, mag es auch hilfreich sein, sich dem Archetyp; der Figur der Eva anzunähern. Wir kennen Eva hier als die Frau Adams, aus dessen Rippe, von Gott/Jahwe erschaffen. 

Lilith war, wie Adam, aus Erde geschaffen und die erste Frau Adams. Lilith war "göttlichen Ursprungs" und als Göttin nicht bereit, sich Adam unterzuordnen, so wie er es verlangte und verließ den Garten Eden.

Sie wusste also um die Wichtigkeit der Balance zwischen Femininem und Maskulinem. 

Wir wissen, was folgte: Eva wurde von "der Schlange" dazu angehalten, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu pflücken; dem Apfelbaum, welcher seit jeher ein Symbol für das Urweibliche ist. Sie kostete die Erkenntnis und verführte auch Adam zu dem folgenschweren Biss. 

Betrachten wir aus schamanischer Sicht jene Schlange, welche oft als Lilith dargestellt wurde, so lässt sich erkennen: war es gar ein schwesterlicher Dienst, den Lilith, die leuchtende Schlange, ihrer Schwester Eva anbot? Ohne die Möglichkeit der (Selbst)Erkenntnis wären wir vielleicht noch im Paradies, doch die tiefe Erfahrung als Mensch in einer dualen Welt zu leben, wäre uns verwehrt geblieben. Das Ahnen um das Mysterium von Leben und Tod, Werden und Vergehen wäre Mensch so nicht erschlossen worden. 

 

Wir wissen, was laut altem Testament folgte: 

Adam und Eva hatten das Paradies zu verlassen und Eva sollte "fürderhin unter Schmerzen Kinder gebären". Die Schlange wurde dazu verdammt, nur noch im Staube zu kriechen. Die Schlange also als Ursymbol für Heilung, ja, für die Kundalini- oder Schöpferkraft, wurde zur Personifizierung des Bösen...

 

Fernöstliche und sicherlich viele andere Traditionen bewahrten das Wissen um die Möglichkeit der Erweckung dieser Schlangenkraft; dieser Schöpferkraft. Als Kundalini mag sie sich (wieder) aufrichten in unserem Rückgrat, unserem Nervensystem, unserer Essenz (wobei wir auch wieder zur Rune ISA zurückschauen können, welche ich oben erwähnte). 

Wie dem auch sei: Systeme der regelhaften Unterdrückung lassen unsere innere Schlangenkraft schlafen bis verkümmern. 

 

Eva fand wohl ihren Umgang in einer repressiven, patriarchalischen Gesellschaft. Sie folgte dem Mann auf ihre Weise, war Mutter und Hüterin des Heimes. Mit Tricks und Raffinesse schaffte sie es, zu überleben. Göttinentypen der Eva finden wir in den alten Göttermythen, wo Venus oder Aphrodite zB. die Kunst vervollkommneten, trotz patriarchaler Dominanz und Gewalt auch ihre Ziele und ihre Macht zu erreichen und zu festigen. 

 

Eva lebt in uns weiter. Oft befindet sich unser Selbstverständnis als Frau in mehr oder weniger bewusstem Konflikt zwischen unserer inneren Lilith- und der Evaenergie. 

Die eine, Lilith, will frei sein. Unbedingt fließen als Mysterium von Leben und Vergehen. Die Themen Empfängnis und Geburt, Mutterschaft in all ihren Formen und Unabhängigkeit sind ihre. Sie ist direkt mit allen weiblichen Mysterien verbunden und so auch mit der oft beschworenen heiligen Sexualität als Manifestationskraft des Spirituellen hier auf der Erde. 

Eva ist die zusammenhaltende und sich zurück haltende Energie. Sie hält Kräfte der jeweils herrschenden Moral und der gesellschaftlichen Konventionen zusammen. 

 

Wenn nun diese in uns Frauen und auch Männern wirkenden Kräfte miteinander in Konflikt stehen, hat dies oft unangenehme Auswirkungen auf unser Leben bis hinein in unsere Physis. 

Innere Zerrissenheit und Konflikte mit sich als Frau/Mann oder Partneri(n). Konkurrenz mit  Frauen, welche vermeintlich das Leben leben, welches man sich nur des Nachts zu erträumen wagt. Projektionen unserer eigenen Kräfte auf Mitmenschen, um nur einige zu nennen. 

 

In dieser Zeit, dieser - ich benenne es nun mal: Pandemie, sind wir auf uns zurückgeworfen. Schattenthemen kommen unweigerlich hoch und dies ist gut so. Ans Licht gebracht sind sie nicht mehr länger "dunkle Geheimnisse" sondern zeigen sich uns oft überraschend verletzlich. Zart. Schatten haben die Qualität, uns beim Erkennen in tiefe Versöhnung zu bringen mit uns selbst und mit unserer Umwelt. 

In diesen Tagen wird wieder einmal viel über den herrschenden Frauenhass im "Netz", alltägliche Femizide und die noch immer tiefe Diskrepanzen zwischen den Verdiensten von Frauen und Männern berichtet. 

Ich wage es, davon zu träumen, dass dies ein Ende haben wird. Das die heilige Balance zwischen heiligem Femininem und heiligem Maskulinem wieder hergestellt werden kann. Um dies zu schaffen, so fühle ich es, ist es wichtig, die innere Balance in der eigenen Weiblichkeit; dem eigenem Selbstverständnis, wieder zu erlangen. 

 

Eine Hilfe kann es sein, die Lilith in uns zu ermutigen, zu uns zu sprechen. Verleihen wir ihr eine Stimme, kommt erhellendes Zutage. 

Ich nenne diesen Zugang "Schattensprechen". es ist eine bestimmte Art von Seelenhygiene, welche für mich  Voraussetzung in meiner schamanischen Arbeit mit Klienten ist und die ich auch Ratsuchenden in meiner Praxis näherbringe. 

 

 

 

Das Eis, es knarzt im Traum . .

Bald, bald wird es taun`

und die Bienen

werden ihren Tanz aufs Neue beginnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Kommentare: 3
  • #1

    Miri (Montag, 15 Februar 2021 19:01)

    Ein sehr ehrlicher und schöner Beitrag
    Gut geschrieben
    Danke

  • #2

    Bianca (Montag, 15 Februar 2021 19:43)

    Vielen Dank für diesen wertvollen, ehrlichen und wunderbaren Beitrag. Sehr berührend und kraftvoll.

  • #3

    Ursula (Montag, 15 Februar 2021 19:55)

    Dieser Beitrag bringt das auf den Punkt, was in uns für Unruhe sorgt, was wir in unseren Töchtern und schon in den Enkelinnen spüren: Sie alle werden sich ihrer Kraft und Stärke bewusst und lassen sich nicht mehr in Rollen stecken, die ihnen viel zu eng sind.